Rede Prof. Stefan Ruge

Der Schlachthof in Rottenburg muss erhalten bleiben!

Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe Freundinnen und Freunde des Rottenburger Schlachthofs,

ich möchte in meinem Statement auf die Erhaltung unserer gewachsenen Kulturlandschaft, den Einfluss der Tierhaltung auf die Biodiversität und darauf, was das mit dem Erhalt des regionalen Schlachthofs in Rottenburg zu tun hat eingehen.

Wir leben in einer über Jahrtausende entstandenen Kulturlandschaft. Vor der Sesshaftwerdung der Menschen vor rd. 7.500 Jahren war Mitteleuropa ganz überwiegend von - teils dichten, teils lichten - Wäldern bedeckt. Diese wurden zunehmend intensiv genutzt und gerodet so dass wir heute nur noch ein knappes Drittel Waldanteil in Deutschland haben.

Durch die Öffnung der Landschaft konnten sich Offenland-Tier- und Pflanzenarten ausbreiten. Die Übergänge zwischen Wäldern, Feldern und Grünland waren bis Mitte des 19. Jahrhunderts fließend. Durch extensive Beweidung mit Rindern, Pferden, Schafen, Ziegen und Schweinen ergab sich ein abwechslungsreiches Mosaik von Mikrohabitaten und eine Vielzahl an ökologischen Nischen, die in der Folge zu einer sehr großen Artenvielfalt und Biodiversität führten.

Erst mit Beginn der intensiveren Landwirtschaft, Ausräumung der Landschaft, Einsatz von Kunstdüngern und Pestiziden ab Mitte/Ende des 19. Jahrhunderts nahm die Artenvielfalt wieder ab mit einer Beschleunigung ab den 1970-er Jahren.

Wie wirkt sich extensive, kleinflächige Beweidung auf die Artenvielfalt aus?

  • Exkremente: 1 Kuh produziert rd. 1,5 bis 2 t Dung. Davon lebt eine Vielzahl von Insekten. So entstehen aus den Kuhfladen, sofern sie auf der Weide abgesetzt werden, rund 100-150 kg Insektenbiomasse pro Kuh. Davon wiederum leben Vögel, Reptilien, Amphibien und Fledermäuse.
  • Auf extensiven Weiden entstehen Strukturen wie Ameisenhügel, Trittspuren, offene Bodenstellen, Wasserflächen, offene Ufersäume, Gehölzgruppen, Hecken, Suhlen etc.
  • Weidetiere verbreiten als „Taxis“ im Fell, in Hufen und in Klauen Samen, Früchte und Sporen, aber auch Insekten, über teils große Strecken.

Fehlen diese Prozesse und Elemente, gehen die Insektenbiomasse und Insektenarten dramatisch zurück, in der Folge davon die Insektenfresser - und genau das erleben wir derzeit. Die Insektenbiomasse ist in den letzten rd. 30 Jahren um ortsweise 75-80 % zurückgegangen, die Brutvögel haben in Deutschland in den letzten 25 Jahren um 7 Millionen Paare abgenommen. Der damit verbundene genetische Verlust ist unwiederbringlich.

 

Extensive Beweidung trägt darüber hinaus bei:

  • zu Hochwasserschutz durch verbesserte Schwammwirkung von Boden und Vegetation
  • zur Wasserfilterung
  • zum Schutz vor Bodenerosion
  • zur Förderung der Biodiversität und Erholungsfunktion
  • zum Klimaschutz durch CO2-Bindung
  • zu einem schöneren Landschaftsbild

Leider gibt es kaum noch weidende Nutztiere in unseren Landschaften. Durchaus positiv sind aber auch extensive artenreiche Wiesen zur Grünfutter- oder Heugewinnung für Nutztiere. Aber auch diese Wiesen gibt es heute kaum noch.

Eine mechanische Mahd, sei es über Kreiselmäher oder über Balkenmäher - und vor allem, wenn heute auf Silagewiesen bis zu 7-mal im Jahr gemäht und intensiv mit Gülle gedüngt wird - verhindert diese wichtigen ökologischen Effekte der Beweidung.

Dies alles wurde erkannt und die EU sowie alle ihre Mitgliedsstaaten unterschrieben im Jahr 2011 in Japan verbindlich die Konvention für Biologische Vielfalt.

Daraus 2 Kernziele:

  • Bis 2020 ist die Verlustrate aller natürlichen Lebensräume einschließlich Wäldern mindestens um die Hälfte und, soweit möglich, auf nahe Null reduziert und die Verschlechterung und Fragmentierung erheblich verringert

  • Bis 2020 sind alle für die Landwirtschaft, Aquakultur und Forstwirtschaft genutzte Flächen unter Gewährleistung des Schutzes der biologischen Vielfalt nachhaltig bewirtschaftet

Von der Erreichung dieser Ziele sind wir heute weit entfernt.

Was hat das nun mit der eventuellen Schließung des Schlachthofes in Rottenburg zu tun?

Für viele kleinbäuerliche Betriebe und Nebenerwerbslandwirte wird sich der Transport zu dem rd. 30 km entfernt liegenden Gärtringen nicht mehr lohnen, viele haben schon angekündigt, dann aufzuhören.

Dazu ein Beispiel zum Transportweg:

Das Vieh muss an einem Tag nach Gärtringen transportiert werden, inkl. Rückfahrt = 60 km, später muss das Fleisch abgeholt werden, wieder 60 km = insgesamt 120 km. Bei einer mittleren Transportentfernung nach Rottenburg von 5 km ergibt das bei 4 Fahrten 20 km = gerade mal ein Sechstel!!

Mal ganz abgesehen von dem Stress, dem ein Tier durch einen längeren Transport unterliegt mit der damit verbundenen Adrenalinausschüttung und schlechterer Fleischqualität.

Die Verlagerung des Schlachthofs an einen entfernteren Ort mit einer größeren Einheit ist ein erster Schritt weg von der regionalen Nutztierhaltung und entweder hin zur intensiveren großflächigeren Landwirtschaft oder zur Verbuschung der Landschaft und damit Verlust an Lebensräumen – in beiden Fällen geht dies zu Lasten der Biodiversität. Dazu kommt der nicht unerhebliche Beitrag zum Klimawandel durch größere Transportentfernungen und das Landschaftsbild leidet.

Das zuweilen vorgebrachte Argument der Geruchsbelastung durch den Schlachthof lässt sich leicht entkräften durch Lagerung von Schlachtabfällen in Kühlräumen.

Ein eventueller Neubau in der Region würde wiederum Flächenverbrauch und Zerstörung von Lebensräumen bedeuten! Was Flächenverbrauch und damit Versiegelung auch bedeutet konnten Sie aktuell am Mittwoch in der Rottenburger Post lesen: „Wachsendes Wasserdefizit im Gäu“. Dort wird von Wasserengpässen in der nahen Zukunft berichtet. Diese sind nicht nur dem Klimawandel geschuldet, sondern auch fehlenden Flächen, wo das immer weniger werdende Regenwasser versickern kann.

 

Wie passt das alles zu den großen Themenkomplexen, Klimawandel, Insekten- und Vogelsterben, Artenrückgang und Verlust an Biodiversität?

Die Schließung des hiesigen Schlachthofs wäre hier völlig kontraproduktiv und politische Konventionen, wie die Biodiversitätsstrategie oder Konvention für Biologische Vielfalt, würden sich als Sprechblasen entpuppen.

Der Neubau eines Schlachthofs in der Region, dessen Finanzierung und Betrieb noch gar nicht geklärt sind, wäre nur die zweitbeste Lösung.

 

Auch hier gilt: Global denken – regional handeln!

 

Es ist nicht modern, zu immer größeren Schlachteinheiten und Transportwegen zu kommen - Tönnies lässt grüßen - sondern es ist modern, eine kleinbäuerliche Struktur zu erhalten und zu fördern. Das trägt maßgeblich zum Erhalt unserer Kulturlandschaft und zur Biodiversität bei.

Die Stadt Rottenburg nennt sich „Fair Trade-Stadt“. Warum soll es nicht fairen Handel in und um Rottenburg für Produzenten und Konsumenten geben?

Also:

Wer für Biodiversität, für eine intakte kleinbäuerliche Struktur, für den Erhalt von landwirtschaftlichen Betrieben in der Region, für ein schönes Landschaftsbild, für wahrhaft fairen Handel und gegen Klimawandel, Insekten- und Vogelsterben ist, ist auch für den Erhalt des Rottenburger Schlachthofs!

 

Vielen Dank!